Mit erheblicher staatlicher Gewalt soll durchgesetzt werden, dass ein Konzern, weitere Millionen Tonnen der extrem klimaschädlichen Braunkohle fördern kann. Begründet wird es mit angeblicher Versorgungssicherheit. Dabei handelt es sich um einen vorgeschobenen Grund, der längst widerlegt wurde. Zudem bringt der mit dem Unternehmen RWE ausgehandelte Kohleausstieg, sogar mehr Ausstoß von CO2 mit sich. Das vorgetragenen Argument, dass die geförderte Menge Braunkohle aufgrund des europäischen Emissionshandels für das Klima bedeutungslos wäre, ist lächerlich. Es handelt sich hierbei nur um ein künstlich von Kapitalist*innen geschaffenes, marktkonformes Konstrukt, das nur theoretisch das Erreichen von „Klimazielen“ herbeiführt. Fakt ist aber, dass RWE über sehr viele, billig erworbene überschüssige Zertifikate verfügt, die jetzt, wo die Preise höher sind, genutzt werden können.
Der Hauptgrund, warum Lützerath nicht mehr steht, ist bekannt. Ein sehr profitables, einflussreiches Unternehmen will noch alles aus dem Braunkohletagebau rausholen, was möglich ist und erfährt staatliche Unterstützung in Form brachialer Gewalt.
Demgegenüber geht es den Widerstand in Lützerath um wirksame Instrumente, die Klima-Kipppunkte doch noch zu verhindern. Das immer noch erreichbare wichtigste Ziel des Protests ist deshalb, dass die Braunkohle, die sich unter dem ehemaligen Weiler befindet, nicht abgebaut wird.
Unabhängig davon, bedauern wir selbstverständlich den Verlust des Kerns der ZAD Rheinland als Freiraum, Kunstraum, Experimentierfeld und vor allem Lebensraum für die Tier- und Pflanzenwelt. Die Bilder der unwiederbringlich zerstörten Gebäude, Strukturen und Bäume berühren uns emotional.
Sich den Konzern RWE zum Gegner zu machen, ist eine gute Wahl. Das rheinische Braunkohlerevier ist eine der größten Quellen für Treibhaus-gase in ganz Europa. Die Ankündigung von RWE, jetzt Aktivist*innen auf Schadensatz in Millionenhöhe verklagen zu wollen, wird die Wut und Empörung nur verstärken.
Vielen ist inzwischen klar, dass das kapitalistische System, das auf Profite und ständiges Wachstum basiert, uns direkt in die Klimakatastrophe führen wird. Wobei wir als Teil des Systems und Profitierende, auch Mitverantwortung tragen. Das sollte nicht unerwähnt bleiben.
Viele Anhänger*innen des Parlamentarismus, dürften langsam zweifeln, ob Wahlen Besserung bringen. Die Linke, die sich in Lützerath jetzt in Position bringt, hat in Regierungsverantwortung selbst niemals überzeugen können. Jetzt schickt sich die Klimaliste an, konsequent Klimapolitik parlamentarisch durchzusetzen. Ähnlich radikal sind die Grünen auch angetreten.
Es gab und gibt aber immer noch die außerparlamentarische Opposition, die den Protest zum großen Teil trägt.
Wie reagiert der Staat und seine tragenden Säulen auf den wieder erstarkten Protest?
Eine Möglichkeit wäre es gewesen, Abtrünnige wieder zurückholen zu holen, durch vermeintliche Annäherung. Das wäre ein nicht einmal ungeschicktes, taktisches Vorgehen.
Zum Glück passiert das aber nicht. Viele dürften sich ohnehin nicht mehr blenden lassen.
Denn klar ist. Alternativen zum versagenden, in die Katastrophe führenden kapitalistischen System sind ohnehin nicht vorgesehen. Es wird behauptet, dem „radikalen“ Teil ginge es nicht um das eigentliche Anliegen. Ihre Agenda wäre der Umsturz und dafür würden sie berechtigten Protest unterwandern und instrumentalisieren.
Ob sich durch solche Worthülsen Menschen davon abhalten lassen, die Systemfrage zu stellen?
Es wäre jetzt falsch zu behaupten, der Staat lasse den bürgerlichen Teil des Proteste unbehelligt. Im Gegenteil. Wieder einmal schießt er auf Kanonen mit Spatzen. Der Rahmen, den er vorgibt, ist ein sehr enges Korsett. Der Protest hat in gelenkten Bahnen zu folgen. Wer auf zivilen Ungehorsam setzt und dadurch den vorgeschriebenen Weg verlässt, bekommt die Gewalt des Staates zu spüren.
Es wird weiter Öl ins Feuer gegossen.
… durch die Überreaktion des Staates
Obwohl es viele Augenzeug*innen, Bildmaterialen und Opfer gibt, streiten Politiker*innen, Polizei- und Verfassungsschutzbehörden übermäßige Polizeigewalt ab und wollen ein Narrativ erkennen. Protagonist*innen des Protestes selbst hätten ihre Fiktion von vielen Opfern brutaler Polizeigewalt geschaffen. Hier halten sie gemeinsam entgegen, dass die die Polizeigewalt, als begründete Reaktion zu verstehen sei. Das Gewaltmonopol, das hier demokratisch legitimiert zur Anwendung kommt, diene nur dazu, geltendes Recht umzusetzen.
Die von der Polizei behaupteten, viel zu niedrig angesetzten Zahlen über verletzte Demonstrant*innen, sollen belegen, dass die Polizei angemessen gehandelt hätte. Die Art der Verletzungen wird veharmlost.
Gewalt dagegen, die von Demonstrant*innen ausgeübt wird, wurde auf Verlangen der AFD sogar im Bundestag thematisiert. Sie wird weitgehend einhellig verurteilt. Um die tatsächliche Dimension der Gewalt zu verstehen, sollten diese Politiker*innen, die sich als politische Mitte vor den Karren der AFD spannen lassen, einmal darüber nachdenken, wie die missliches Lage im Matsch für die Polizei ausgegangen wäre, wenn sie dreißig oder vierzig Jahre zurück, einer Gruppe von Autonomen ausgesetzt wären?
Die Bilder aus Lützerath stehen doch vielmehr für einen Rückgang militanter Gewalt, der seit vielen Jahren anhält. Das Szenario von brennenden Barrikaden, Würfe mit Pyrotechnik, Steinen, Flaschen und „Molotow-Cocktails“, das hier die Politiker*innen entwerfen, ist nur eine kurze Momentaufnahme des Protestes.
Die Polizei jedoch hat bereits vor der Räumung ein „hochgefährliches“ Bedrohungsszenario aufgebaut, das nicht der Realität entsprochen hat. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ein Polizeikommando das Dorf gleich zu Beginn, ohne Rücksicht auf Verluste stürmte, obwohl sie sich angeblich vor Fallen, mit erheblichen Risiken fürchten mussten.
Selbstkritische Aufarbeitung ihres Einsatzes ist von der Polizei nicht zu erwarten. Dass politische Kreise jetzt aber noch von einem angemessenen, ,hochprofessionellen, besonnen Einsatz oder sogar noch von Deeskalation sprechen, hinterlässt dann doch Ratlosigkeit.
Die beiden Polizeigewerkschaften (Gdp und DPolG) haben den Medien vorgeworfen, dass sie immer noch verharmlosend von „Aktivist*innen“ sprechen. Obwohl die Medien die Presseberichte der Polizei allzu oft unkritisch übernehmen und Militanz in den Medien eindeutig abgelehnt wird, geht der Polizei ihre Kontrollmöglichkeit der „Vierten Gewalt“ scheinbar noch nicht weit genug.
Widmen wir uns deshalb einem weiteren Faktor, der den Konflikt um Lützerath anheizt. Der tendenziösen Berichterstattung in den Medien.
Viele, die sich bisher noch nicht selbst an Protestbewegungen beteiligt haben, wundern sich über die einseitigen Berichte in den Massenmedien, die so sehr von den eigenen Erfahrungen abweichen. Selbst Medien, die vor Ort waren, verweisen ebenfalls auf den gesetzlichen Rahmen, indem sich der Polizeieinsatz bewegt hätte. Dabei neigen sie dazu, die Gewalt der Demonstrant*innen in ihren Artikeln, teilweise extrem aufzubauschen. Dabei spielt auch eine Rolle, wie sie uns ihre Bilder präsentieren. Vermummte Aktivist*innen, die eine Handfackel abbrennen, müssen dann als Symbol für Militanz herhalten. Ein kleineres Feuer entfaltet in Nahaufnahme eine besondere Wirkung. Hier Gewalt, da Gewalt und jetzt noch was zur Gewalt…
Schwerwiegend wiegt, dass das eigentliche Anliegen der Proteste innerhab der Berichterstattung in den Massenmedien weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. In einer einseitigen, Sensationen erhaschenden Berichterstattung, bleibt für Sachlichkeit wenig Platz.
Damit werden vor allem die Teile in der Bevölkerung bedient, die in Sozialen Medien ihre Hetze verbreiten. Die Demonstrant*innen, die die Klimakatastrophe noch abwenden wollen, eher nicht.
Viele, die den Glauben an die Medien noch nicht verloren haben, dürfte die journalistische Aufarbeitung bitter enttäuscht haben. Für nicht wenige kommt sie nicht unerwartet. Sie haben sich schon vorher ihre Gedanken zur Rolle der Medien gemacht.
Worum geht es den Staat?
Wir müssen uns im Klaren sein. Der Staat wird weiterhin alle überwachen, verfolgen und bestrafen, die ernsthaft Alternativen zum bestehenden, destruktiven System propagieren und umsetzen wollen. In demokratischen Ländern ist das Risiko der Repression aber weitaus geringer als in Diktaturen, wo bereits viele Aktivist*innen ermordet wurden.
Reformen oder gleich Revolution?
Die zu stellende Frage ist, ob es Möglichkeiten von Reformen gibt, die Klimagerechtigkeit bringen können oder ob tatsächlich erst etwas Neues geschaffen werden muss? Denn es darf nicht vergessen werden, für was unser Wirtschaftssystem, die sogenannte (soziale) Marktwirtschaft, in Verantwortung zu nehmen ist. Für wie viele Lebewesen ist sie, auf globaler Ebene, existenzbedrohend? Welche Kollateralschäden wollen wir noch zulassen? Wie wichtig ist die Zukunft unseres Planeten? Wann übernehmen wir die Verantwortung für unser Handeln?
Selbst wenn der Protest langsam die Form einer Sozialen Bewegung annehmen sollte, wäre es Überforderung von ihr zu erwarten, dass sie die Entwicklung alternativer Modelle zum bestehenden Kapitalismus vorantreibt. Auch wenn das, die relativ kleine Gruppe, die Lützerath besetzt gehalten hat, vielleicht anders sehen sollte. Hat sie sich doch bemüht, eine Zeit lang ihre Utopie zu leben.
Nicht nur, dass die Machtverhältnisse zu eindeutig sind, als dass sich eine langfristige Perspektive für Erneuerung bieten würde. Vor allem aber sind die verschiedenen beteiligten Gruppen viel zu heterogen, um sich über tragfähige Alternativen zu verständigen. Das bekommen die Gruppe untereinander oft nicht einmal hin.
Machen wir uns nichts vor. Auch in der Klimagerechtigkeitsbewegung existieren Machtstrukturen, die nur schwer aufzulösen sind.
Was uns aber gelingen kann und wo auch unsere Stärke liegt, ist gemeinsam den Druck auf die Herrschenden empfindlich zu erhöhen. Die Mittel dazu sind so vielfältig, wie die Unterschiedlichkeit der am Protest beteiligten Gruppierungen und Einzelpersonen.
Im konkreten Fall besteht die realistische Chance, dass die Kohle in Lützerath unter der Erde bleibt. Hierbei handelt es sich unzweifelhaft um ein effektives Ziel.
Auch die ZAD ist noch nicht Geschichte. Der Kampf um die Dörfer geht weiter. In Wanlo, Keyenberg, Kuckum und in Holzweiler regt sich weiter Widerstand.
Auch wenn jetzt die Repression zuschlägt, ist Solidarität gefragt. Es ist von mehreren hundert gestellten Anzeige die Rede.
Auch auf anderen Feldern kann es zukünftig gelingen, gemeinsame Teilziele zu erreichen. Es liegt alleine an uns. Die Herrschenden selbst tragen dazu bei, dass wir für bestimmte Anliegen gemeinsam, solidarisch zusammenrücken. Nicht im strategischen Sinne, sondern weil Einigkeit besteht, dass es zum Handeln fast schon zu spät ist.
Es besteht die Hoffnung, dass Lützerath erst der Anfang ist.